Unterschiedlicher kann ein Team wohl kaum sein. Der eine, ein typischer „Hobby“ ohne Zeit zum „Trainieren“ und wenn, dann ohne Struktur, ohne Plan und grundsätzlich nur in Gemeinschaft anderer durchgeknallter (Enduro-)Fahrer, die sich waghalsige Trails hinabstürzen, immer auf der Jagd nach neuen Strava-Zeiten, optimaleren Zugstufen-Einstellungen und noch mehr Flow-Erlebnissen. Das Bergauf-Fahren eher ein leidiges Muss statt Genuss.
Ganz anders die Ehefrau, die es zwar auch bergab krachen lässt, aber erst, wenn sich zuvor so richtig verausgabt wurde. Ein Leichtgewicht, welches sich gerne die Berge hoch „quält“ und versucht mit strukturiertem Training noch mehr aus sich herauszuholen. In die Karten spielen ihr dabei die relativen Watts, wohingegen der Ehemann eher durch absolute Zahlen brilliert.
Auch die Vorbereitung auf den 7-tägigen Brasil-Ride hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können. Mehr als 3000 Trainingskilometer waren bei Tom – Job-bedingt – einfach nicht drin und da bei der ganzen Arbeit der Spaß-Faktor nicht zu kurz kommen darf, wurden diese nahezu ausschließlich auf dem Enduro absolviert. Der Respekt vor den anstehenden 600 Kilometern innerhalb 7 Tage war entsprechend hoch. Statt an eine Platzierung, wurde vielmehr ans reine Finishen gedacht… Abgesehen von einem einzigen Enduro-Rennen im Frühjahr hatte Tom bisher nichts an „Rennhärte“ vorzuweisen. Aber das konnte sich im Verlauf der kommenden 7 Tage ja noch ändern…
Demgegenüber glänzte Betty mit 38 Renn-Tagen in diesem Jahr zwar mit Erfahrung, war aber sicherlich nicht mehr die Frischeste am Ende dieser langen Saison. Die Ansprüche wurden entsprechend runtergeschraubt und im Vordergrund stand das Privileg einen -hoffentlich zufriedenstellenden- Saisonabschuss mit dem eigenen Ehemann erleben zu dürfen inmitten einer faszinierenden Landschaft am anderen Ende der Welt.
Die drei Tage Akklimatisierung wurden in vollen Zügen genossen – morgens mit Kokosnüssen, abends mit Caipirinhas – und dann ging’s los!
Der 27 Kilometer lange Prolog über verspielte, sandige Flow-Trails war zwar intensiv, machte aber Laune und die Start-Ziel-Location direkt am Meer unterstrich einmal mehr das Urlaubs-Feeling. Mit einem soliden 5. Platz waren die beiden voll zufrieden. Zwar nicht top, aber voll ok.
Die Euphorie hielt genau einen Tag.
Bei der Überführung vom Küstenort Arraial d’Ajuda ins Landesinnere nach Guaratinga galt es knapp 140 Kilometer zu absolvieren. Für Betty: ein rabenschwarzer Tag! So schön die Landschaft mit ihren Kakao- und Kaffeeplantagen auch war, desto mehr erschien Betty wie ein Häufchen Elend.
„Zum ersten Mal in meinem Leben fragte ich mich ernsthaft, ob ich in der Lage sein würde, das Rennen zu beenden. Ich wusste nicht, wie ich die noch verbleibenden EINHUNDERT Kilometer an diesem Tag schaffen würde, und – falls doch irgendwie – wie es die kommenden FÜNF Tage weitergehen könnte… Ob ich mich nicht immer tiefer in den Keller fahren würde und ob ich mich zum Ende der Saison schlichtweg komplett verheizt hatte. Es ging einfach nix. Null. Scheintot.“
Sämtliche Aufmunterungsversuche und Motivationsarbeiten verliefen im Sand und Team um Team zog an den beiden vorbei. Am Streckenrand sitzend dann die unausweichliche Frage: war das Abenteuer womöglich doch eine Nummer zu groß für die beiden? Tom ohne Training, Betty verheizt? Wäre es nicht vernünftiger, umzukehren und das zweite Jahr Flitterwochen zu genießen? Jetzt, bevor es die kommenden drei Tage im tiefsten Dschungel von Guaratinga vom Zeltlager aus nicht mehr möglich wäre?
NEIN. Sie entschieden sich langsam weiterzufahren, hielten an jeder Verpflegungsstation an, versorgten sich mit Gummibärchen und Salzkartoffeln und versuchten als geübte Lebenskünstler das Beste aus der Situation zu machen. Sie redeten sich ein, eine einmalige romantische Bike-Tour durch den Dschungel genießen zu dürfen und erreichten schließlich – nach knapp 8 Stunden – völlig ko das Ziel. Der Rückstand: ca. 1,5h. Die Warteschlange an Bike-Wash, Duschen, und Essensausgabe: mittlerweile endlos. Die Moral: im Keller.
Der Versuch, sich die Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, mündete darin, am nächsten Tag zu starten, als sei nichts gewesen. Zum eigenen Erstaunen lief es tatsächlich ziemlich gut. Betty war wieder die alte und die Beine kurbelten wie gewollt. Die Trails inmitten des Urwalds umgeben von Granit-Felsen wurden genossen und am Ende des Tages gelang den beiden tatsächlich der Sprung auf’s PODIUM!!!
Auch die nächsten Tage fanden die zwei zu alter Stärke zurück, schafften es insgesamt dreimal aufs Treppchen und entwickelten sich zu einem immer besser aufeinander abgestimmten Team. Tom fuhr Betty bergab nicht mehr das Laktat in die Beine und Betty ließ Tom bergauf seinen eigenen Rhythmus fahren (oder auch mal schieben ;-)).
Die Laune und der Spaßfaktor steigerten sich Tag für Tag, bis zu dem Bewusstsein darüber, dass es nun auch in der Gesamtwertung möglicherweise auf’s Podium reichen könnte. Sie hatten eine derartige Aufholjagd gestartet, dass sie sich bis zur letzten Etappe tatsächlich auf Platz drei vorgearbeitet hatten. Spätestens jetzt konnte von „Urlaub“ keine Rede mehr sein und der Ehrgeiz hatte die beiden wieder voll in Besitz genommen.
Mit zwei Defekten auf der finalen Etappe glich der Kampf um das Gesamt-Podium einem Krimi. Während Tom und Betty am Streckenrand einen Schlauch montierten, zog die Konkurrenz von dannen. Das Schlimmste wurde befürchtetet und – nach einem weiteren Defekt – der Teufel an die Wand gemalt. Sie keuchten sich die Seele aus dem Leib, kurbelten was das Zeug hielt, sahen die Konkurrenz allerdings nie wieder. Im Ziel das Zittern: hatte der Vorsprung der Tage zuvor ausgereicht?
Völlig im Eimer und glücklich, dass die Strapazen endlich vorbei waren, fielen sie sich erschöpft in die Arme. Das zweite Jahr der Flitterwochen konnte nun endlich beginnen!
Und JA! Sie hatten es geschafft! Der 3. Platz auf dem PODIUM galt ihnen.
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