Ötztaler 2015 aus einer anderen Sicht – von Stefan Kirchmair

Stefan Kirchmair konnte heuer am Ötztalradmarathon 2015 wegen eines Traininsunfalles nicht teilnehmen. Es hätte sein Hattrick sein können. Dennoch hat er sich nicht entmutigen lassen und stattdessen sein Team supportet!

Text von Stefan Kirchmaier

Um 5:20 Uhr riss mich die innere Uhr aus dem Schlaf – der Wecker hätte um 5:30 Uhr geklingelt. Das tat er auch – aber so lange brauchte ich, um mir die Thrombosestrümpfe anzuziehen. Eine schnelle Tasse Café, dann humpelte ich fix zum Auto, um rechtzeitig am Start des Ötztaler Radmarathons in der Ortsmitte von Sölden zu sein. Zum Glück fanden wir einen Platz relativ nahe am Start, doch immer noch weit genug, um mit meinem Rolli gerade noch die erste Startreihe zu erreichen, bevor mir die Kraft in den Oberarmen endgültig ausging.

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Stefan Kirchmair gut gelaunt im Startbereich – leider aber im Rollstuhl

Gerne hätte ich mir mal angesehen, wie die Startaufstellung in den hinteren Startblöcken funktioniert und noch alle Teamfahrer gut auf die Strecke verabschiedet – dazu hätte ich aber wohl einen Elektro-Antrieb an meinem Rollstuhl gebraucht.

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Startaufstellung

So war ich froh, dass es meine Armada im Block 1b ganz nach vorne geschafft hatte: Mona, Tom, Josef und Klaus standen da unter anderem in der ersten Reihe und waren schon sichtlich aufgeregt. Ich war auch nervös – vielleicht nicht so sehr, als hätte ich nur zwei Räder unter dem Hintern gehabt, aber die Kulisse und Stimmung lässt den Adrenalinspiegel unweigerlich ansteigen. Natürlich fand auch Othmar Peer gleich ein paar Begrüßungsworte für mich und ein Interview blieb mir auch nicht erspart, aber so konnte ich wenigstens noch meinen Fahrern und den über 4000 Startern alles Gute bei diesen perfekten Bedingungen wünschen.

Schnell musste ich dann zusehen, mich rechtzeitig aus dem Staub zu machen, damit die wenig später losrollenden Radlern Platz haben. Mit dem Handy versuchte ich den Start zu filmen und ich war überrascht, wie viele mich da im Rollstuhl noch erkannten und grüßten.

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Die Straße lehrte sich schnell, die Hunderten von Zuschauer suchten alle das nächste Café auf oder gingen zum frühstücken ins Hotel zurück – innerhalb weniger Minuten war die Straße leer und es war wie ausgestorben.

Langsam wurde es mir immer klarer: „der Zug des Ötzis, der war abgefahren, kein Chance mehr aufzuspringen“ – also was tun bis zum Zieleinlauf? Erst einmal Frühstück in unserer Unterkunft. Schnell postete ich ein paar Fotos und fuhr wieder hinüber zur Freizeitarena, nachdem die Sonne langsam den Talboden erleuchtete. Im Ziel war noch nichts los – die Tribüne wurde aufgestellt und die Zeittafel verriet: schon über drei Stunden Renndauer… also war die Spitze wohl gerade am Brenner. Direkt nach dem Start hatte ich kurz ein wenig Wehmut, nicht mit dabei sein zu können, doch jetzt war das vorüber und ich war sehr gespannt, wie es im Rennen stehen würde und ob noch alles beisammen war oder ob es eine Ausreißergruppe gab. Wenig später wurde erstmals auf die Strecke geschaltet: Eine Sechs-Mann-Gruppe war vorne.

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Es war nun Mittag und im Zielgelände tummelten sich die antiken Räder, gefolgt von einem sehr ominösen Gefährt – einer Mischung aus Fahrrad und Musikkapelle – sehr amüsant dieser Anblick und vor allem die Klänge. Leider dauerte es ewig, bis neue Zwischenstände durchgegeben wurden, da war dann schon fast das Timmelsjoch erreicht, wo dann bereits Enrico Zen die Führung übernommen hatte.

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Monika Dietl war leider etwas zurückgefallen und es drehte sich fast alles um das Duell der beiden Tirolerinnen Nadja Prieling und Daniela Pintarelli um Platz zwei im Damenrennen. Fast wie eine Erlösung war dann die Rückkehr unserer Betreuerstaffel vom Brenner – alle Fahrer hatten die Labe gesund erreicht, nur ein Fahrer hatte krankheitsbedingt am Kühtai umgedreht und war bereits gut zurück im Hotel angelangt.

Im Ziel füllten sich jetzt langsam die Ränge, der Sieger würde ja auch schon in knapp 30 Minuten einfahren. Ich war gespannt, ob Enrico Zen vielleicht an meinen Streckenrekord herankommen würde – die Rennsituation war ja durchaus sehr brisant gewesen und man wusste ja überhaupt nicht einzuschätzen, wie schnell die Spitze unterwegs war. Lediglich die Abstände wurden durchgegeben und das eben nur auf den Gipfeln, von daher war es wirklich spannend, in welchem Bereich die Siegerzeit liegen würde.

Die Stimmung im Ziel brachte dann die Red Bull Flugstaffel mit beeindruckenden Manövern zum Höhepunkt – dann eilte auch schon Othmar Peer ins Ziel und das Gänsehaut-Feeling kam auf, sobald seine Stimme durch die Lautsprecher hallte.

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Enrico Zen – Sieger 2015

Die Sieben-Stunden-Marke war kaum überschritten, als Enrico Zen ins Ziel kam – ein erhabener Moment, nachdem minutenlang alle Augen gebannt in die Zielkurve gerichtet waren. Er schoss eine Runde durch das Ziel, ließ sich in voller Fahrt den Lorbeerkranz umhängen und fuhr gegen die Strecke wieder aus dem Ziel hinaus auf die Strecke. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis er zurück kam, sich noch einmal feiern ließ und dann gefolgt vom zweitplatzierten Italiener im Zielbereich das erste Interview gab.

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Immer zweimal feiern lassen!

Christan Barchi kam als Dritter ins Ziel – gezeichnet von seiner frühen Attacke aber sehr glücklich über seinen Platz auf dem Podest. Den Sprint um Platz vier verlor Werner Weiss leider gegen seinen Landsmann, doch in seinem Alter den Ötzi in den Top-Fünf zu beenden, noch dazu mit einer so langen Flucht das war schon wirklich beeindruckend!

Dann dauerte es einige Zeit, bis Johannes Berndl den Reigen der Italiener brach und sich leicht krampfig aus seinen Pedalen rettete. Othmar pushte noch einmal richtig, denn auf Platz sieben folgte Daniel Rubisoier, der ausgerechnet am Ötztaler seinen 33. Geburtstag feierte und sich mit dem Titel des besten Österreichers auch gleich das passende Geschenk bescherte. Auf Platz acht kam dann René Stadelmann ins Ziel – ich rollte ihm entgegen und klatschte mit ihm ab – eine Wahnsinns-Leistung, hier mit einem Top-Ten Ergebnis zu finishen.

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abklatschen mit den Teamfahrern im Ziel

Neunter wurde mein letztjähriger Weggefährte, Roman Herrman, dann konzentrierte ich mich mehr auf René und die anderen Fahrer, die sich alle im Zielbereich aufhielten. Nur Enrico Zen war sofort weg, mit den anderen wechselte ich ein paar Worte, denn am Start hatte ich die Jungs fast alle nicht gesehen.

Immer mehr Fahrer rollten herein und es waren schon berührende Momente, sie alle ungestört begrüßen zu können, ohne nebenbei noch Interview zu geben oder von Leuten aus den Zuschauerrängen gerufen und gefeiert zu werden. Man merkte unweigerlich, dass die hohen Temperaturen den Fahrern vermutlich noch mehr abverlangt hatten, als Regen und Kälte in den letzten Jahren. Umso höher waren auch die guten Zeiten einzuschätzen, mit denen sie das Ziel erreichten.

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Speedmessung nach dem Timmelsjoch

Es dauerte zwar dann noch eine Weile, bis weitere Teamfahrer das Ziel erreichten und ich war ziemlich überrascht, dass Ulrich der erste war, der nach René das Ziel in 7:46 und damit knapp vor Laila  Orenos erreichte, die einen fantastischen neuen Streckenrekord aufgestellt hatte. Ich freute mich sehr für sie, sie ist eine so sympathische und bodenständige Dame und eine tolle Sportlerin. Ich wartete noch immer auf Mona, die dann nach 8:22 Stunden das Ziel erreichte und uns ordentlich schockte, als sie uns ihren geschwollenen und blutenden Ellbogen zeigt. Wie war in der Abfahrt vom Timmelsjoch gestürzt und hatte sich noch ins Ziel gerettet.

Mit den anderen Fahrern verließ ich dann den Zielbereich zu unserem Stand, wo bereits Kuchen, Cola und Bananen vorbereitet waren. Für mich die Gelegenheit, noch kurz ein paar Zeilen in den Blog zu klopfen und dann anzufangen den Infostand abzubauen, denn schließlich war es schon fast 18 Uhr und langsam bekam ich immer mehr Hunger und war auch schon ziemlich fertig von dem ganzen Tumult. Zum Glück kamen dann bald Martina und Maresa, unsere beiden Hüterinnen des Infostandes und halfen mir, so dass schnell alles im Auto verladen war.

Alle waren super drauf, lustig und redselig – es machte Spaß sich mit ihnen über den Tagesverlauf und die Erlebnisse zu unterhalten. Nach und nach trudelten alle ein, die noch nicht die teilweise lange Heimreise angetreten hatten und es wurde langsam ernst mit der Siegerehrung. Nach dem sehr emotionalen Interview von Jens Vögele, dem Chefredakteur des Radmagazins „Roadbike“, der mit den letzten Fahrern direkt auf die Bühne eingefahren kam, zog sich die Siegerehrung ziemlich in die Länge, bis alle Altersklassen geehrt wurden. Nach der Teamwertung war es dann Zeit für den Aufbruch, denn es lagen noch einige Erledigungen zwischen dem mehr als verdienten Bett.

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Labe am Jaufenpass

Man glaubt es nicht, wie viele Kleinigkeiten dazu gehören, bis man eine solche Verpflegung wie die unsere organisiert hat, wie viele Helfer von Nöten sind und wer noch alles aushelfen musste, weil ich ja weder heben noch tragen konnte. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Harald, der mir seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus fünf Tage lang treu zur Seite gestanden hatte und sich am Sonntag den ganzen Tag am Timmelsjoch die Beine in den Bauch gestanden hatte, um die schönsten Erinnerungen an diesen Ötztaler mit seiner Kamera einzufangen. Dann natürlich bei Martina, Maresa, Andreas und alle weiteren Angehörigen und Helfer, die vor Ort mitgeholfen haben und sich voll ins Zeug gelegt haben für diesen reibungslosen Ablauf.

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stehen keine Kühe auf der Strecke, bist Du nicht beim Ötztaler 🙂

Danke euch allen und gute Erholung von diesen Strapazen, denn diese waren sicher nicht einfacher, als die Ötzirunde mit dem Rad zu bewältigen. Ich jedenfalls war nach diesem Tag mehr kaputt, als nach all meinen bisherigen Ötztalern und heilfroh, als ich gegen Mitternacht im Bett versinken konnte – natürlich nicht ohne mit den Händen mein kaputtes Bein über die Bettkante zu hieven, mich mühselig umzudrehen und das Licht auszuknipsen. Ein langer, ereignisreicher Tag mit tollen Eindrücken und Erinnerungen, viel Freude und toller Stimmung ging damit zu Ende.

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