Bikepacking the Arizona Trail

Fangen wir mal 2015 an:

Nach dem gemeinsamen Ja-Wort im November war schnell klar, dass unsere Bikes mit auf die Flitterwochen kommen und klimabedingt war die Auswahl der Destinationen ziemlich eingeschränkt. Betty und ich verbrachten 2 wunderbare Wochen in Arizona und Utah, mit uns ein Wohnmobil, welches von der Größe her einen VW California zum Frühstück verspeist, mit an Board natürlich unsere Trailbikes. Ein auffällig wunderschöner flowiger Singletrail südlich von Mt. Lemmon ist uns besonders positiv in Erinnerung geblieben. Ich versprach sowohl wieder zu kommen, als auch die Bedeutung der “AZT” Schilder zu entziffern.


Betty auf dem AZT südlich des Mt. Lemmon.

Gesagt, getan!

Gut 3 Jahre später sitze ich mit Bernd im Flieger nach Phoenix. Die Stimmung ist positiv, aber “angespannt”. Haben wir an alles gedacht? Kommen wir gut durch oder wird der AZT aka “The Arizona Trail” uns fertig machen? Kommen die Bikes trotz der London-Zwischenlandung in Phoenix an?


Der Arizona Trail ist ein ca 1300 km langer, in beide Richtungen begeh- und befahrbarer Singletrail für Reiter, Wanderer und Radfahrer.. Unser Plan: Einstieg querab Phoenix & Ausstieg an der Mexico-Grenze.

Die Vorbereitungen liefen seit Wochen. Nach der eher peniblen, deutschen Art habe ich eine Packliste samt aller Gewichte (natürlich grammgenau!) erstellt, um ja nichts Wichtiges daheim zu lassen.

Hat fast geklappt, ein Idiot hat zwar seinen Helm vergessen, aber dazu später …


Grammfuchserei im Wohnzimmer…

Die größte Herausforderung besteht darin, das Gewicht möglichst gut zu verteilen, um nachher nicht mit einem 20kg Rucksack wie ein Sack Kartoffeln die Trails runterzukullern und sich abends über Rückenschmerzen zu wundern!

Also haben wir lange nachgedacht: 2 Trinkflaschen wanderten an die Federgabel. Bis zu 2 an den Rahmen. Eine sehr stabile Packsack-Halterung von Salsa wurde am Lenker befestigt. In meinem riesigen 22l Packsack verschwand dort das Zelt, der Schlafsack und die Winter-Daunenjacke. Davor wurde die Isomatte (wegen der Stacheln und Kakteen nicht aufblasbar) gespannt. Auf die so entstandene Fläche platzierten wir Solarzellen, damit die Unterhaltungselektronik uns auch 7 Tage lang unterhalten würde 😉


Eine Gemeinsamkeit aller 3 Cockpits war die sehr stabile Lenker-Halterung, die sämtliches Gepäck erfolgreich auf Abstand zum Lenker, den Zügen und Leitungen hält.

Erik, der dritte Cowboy, kam direkt und vorgebräunt und ent-jetlagged aus dem Urlaub in Costa Rica nach Phoenix. Nach ein paar Katastrophen wurden wir von Erik und 2 Sportografen samt Wohnmobil abgeholt und übernachteten am Trailhead am Lake Roosevelt.


Kurzes Update an Erik: #läuft !

Die Test-Übernachtung war ein voller Erfolg … NICHT !

Wir haben irre gefroren und wurden schon um 4 Uhr wach. Eriks und mein High-Tech-600gr-Zelt entpuppte sich zwar als extrem leicht und extrem gut verarbeitet, aber einfach zu klein: ans Umziehen im Zelt, oder den Rucksack im Mini-Vorzelt vor dem Regen verstecken, war nicht zu denken.

Einen halben Tag haben wir zum Kramen, Befestigen und Ausprobieren gebraucht, dann ging es endlich los in Richtung der Mexico-Grenze, die wir etwa 7 Tage und 75km pro Tag später erreichen wollten.

Kein Puderzucker, sondern Eis erwartete uns morgens auf den 600gr High-Tech Zelten von Vaude!


Endlich geht es los!

Nach 4 Stunden packen ging es endlich los! Ich Depp ohne Helm 😉

Für die ersten 2 Tage stand eine Umfahrung des AZT auf dem Programm, von der wir uns erhofften, sie sei genauso spektakulär wie der AZT selbst. Manche wenige Sektionen sind nämlich für Radfahrer nicht gedacht (wohl zu steil) und so erschien es uns clever, uns 2 Tage lang “einzufahren”, an das Wetter, das Bikepacker-Leben und die Zeitumstellung zu gewöhnen.

Kaum verließen wir das Ufer des Lake Roosevelt hörte der Asphalt auf und wir pedalierten bis spät abends auf einer zum Teil welligen Schotterpiste, dem Apache Trail.

Bye bye lake Roosevelt, welcome wilderness!

Im Prinzip wie die Schotterpisten daheim, nur 3x breiter 😉

Den Apache Canyon darf man zweifelsohne als das erste Highlight beschimpfen, ein Highlight welches allerdings mit Qualen (=Höhenmetern und Wasserverlust) verbunden war.

Die Brücke im spektakulären Apache Trail Canyon.

Endlich fanden wir eine Wasserquelle. Ohne Wasserfilter wäre diese Pfütze wohl ungenießbar. Unglaublich wie sauber und geruchsneutral das Wasser aus dem Filter rausgekommen ist!
Die Landschaft am Tag 1 ließ unsere Herzen höher schlagen.

Irgendwann waren wir hungrig, aber zugleich auch so erschöpft, dass wir gar keine Lust hatten, unsere Vorräte jetzt schon aufzubrauchen. Immerhin haben wir alles mit viel Phantasie auf den Bikes befestigt und zudem würden härtere Tage folgen…

1kg Reis auf dem Vorbau? Klar, besser als im Rucksack!

Spaghetti am Unterrohr als Rahmenschutz sorgt für einen schön tiefen Schwerpunkt. Darüber 2 kleine Flaschen mit Sonnenmilch und – auf der Rückseite- Spüli.

Wie durch ein Wunder wird aus der Piste wieder Asphalt und wir landen in einer Talsenke mit nur 2-3 Häusern, welche sich “Tortilla Flat” nennt. Eine Campsite und vor allem ein Restaurant haben uns sauber aus der Hungerast-Schlinge gezogen! Was will ein unterzuckertes Bikerherz mehr?!

Tortilla Flat aka die Rettung aus der Hungerast-Schlinge am Tag 1.
Das Restaurant macht einen, sagen wir mal, sehr patriotischen Eindruck. Die Wand ist voller 1 Dollar scheine und Gewehre….das mexikanische Essen hingegen hervorragend!

Mathe ist nicht jedermanns Sache: nehmen wir 4 Stück für 2,5 Dollar oder lieber gleich 8 für nur 6,5 Dollar ?

Die nächsten Tage verliefen sehr abenteuerlich und wir haben vor allem Eines gelernt: wir sollten uns schnell von den erhofften Kilometerleistungen verabschieden. Schon bei einem Brutto-Schnitt von 6 (!) km/h kam uns alles recht flott vor. Februar auf der Nordhalbkugel heißt einfach kurze Tage. Es gab viel zu kramen, sehr technische Trails, Schiebepassagen, Fotostops, Wasserfilter-, Ess- und Zelt-Trocknen-Pausen, spontane Kaktusstachel-OPs und natürlich Tonnen an Reserve-Proviant, die sich ziemlich standhaft der Schwerkraft erwehrten….wir kamen nie über 60km weit, egal: der Weg ist bekanntlich das Ziel!

Der Singletrail an sich entpuppte sich als perfekt. Wirklich perfekt. Wir haben zig mal pro Tag lauthals geschrien und gejubelt, so viel Spaß hat es gemacht. Es müssen begnadete Biker am Werk gewesen sein…

Wir fuhren an provisorischen “Weekend Shooting Ranges” vorbei (das heißt: hunderte gelangweilte Bürger mit Maschinengewehren und Quads in der Wüste. Ein Wahnsinns Anblick für einen Europäer) und an Siedlungen voller “abgehangener” Trump-Wähler.

Das ist mal eine politische Ansage!

Meist haben wir wild gecampt, wobei sich die Suche nach dem perfekten Platz als schwierig erwies. Entweder waren es zu viele Kakteen, oder zu viele Felsen, oder alles war zu steil. 🙂

Eines Nachts kamen die Kojoten sehr nah an die Zelte… Pech, wer nachts pinkeln wollte!

Spektakuläre Campsites mitten in der Sonora Wüste.

Den Sternenhimmel werden wir so schnell nicht vergessen, ebenfalls die Kälte und die omnipräsente Angst, einen Kaktus zu übersehen. ;o)

Was für ein Sternenhimmel!

Den Großteil der Zeit verbrachten wir fernab jeglicher Zivilisation. Umso mehr freuten wir uns auf Begegnungen mit den Einheimischen und immer wieder haben wir über die Freundlichkeit und die immense Hilfsbereitschaft der Amis gestaunt!

Dieses Ehepaar hat in der Wüste gepicknickt und uns spontan und gern versorgt. Mitten im Nirgendwo. Einfach so. Weil es geht. Die dicke Knarre in der Hose des Mannes erinnerte uns daran, dass es kein deutsches Picknick war. 🙂

Todd läuft den AZT zu Fuß. Mit seinem Hund. Er hat an der Mexico-Grenze begonnen und hat noch über die Hälfte vor sich! Er hat sich sehr über Menschen gefreut.

Auch an diesem Cowboy kommt man nicht so einfach vorbei. Daheim in Baden-Württemberg würde man sich jetzt eine Wutrede zum Thema “2m-Regel” anhören. Hier kamen Tipps zum Trail, Neugierde und Freundlichkeit im Übermaß!

Diese Jungs lernen wir im Supermarkt in Kearny kennen. In diesem 61 Jahre jungen Ort haben wir unsere Vorräte aufgestockt. Die Begegnungen mit den einfachen aber glücklichen Menschen haben mir geholfen, das eine oder andere Stereotyp gegenüber den sogenannten “Trump-Wählern” abzubauen.

Andere Länder, andere Sitten…in Deutschland hätte es wohl auch ein Schild „Autofahren auf den Gleisen verboten“ getan 🙂


Am härtesten wird uns der dritte Tag in Erinnerung bleiben. Durch Sperrungen (mit Waffengewalt-Androhung) und weiteren Verzögerungen bei der Wasserversorgung kamen wir viel zu langsam voran und wurden gezwungen ganz oben auf einer wilden 1400m hoch gelegenen Passhöhe zu übernachten. Der Ausblick: unfassbar. Die schier unendliche Abfahrt ins Tal: der beste Start in den 4. Tag, den man sich hätte wünschen können!

Schiebepassagen, Wassermangel, Umfahrungen, Ankunft fast bei Dunkelheit: der 3. Tag war zweifelsohne eine Kraftprobe.

Straßensperre: es waren nur 100m Privatbesitz, wir hatten dennoch keine Lust, abgeknallt zu werden und entschieden uns für einen 15km langen Umweg 😉

Kurz vor Sonnenuntergang schlagen wir die Zelte auf einer Passhöhe auf – am Morgen danach raubt uns der Blick den Atem!

Der Blick von der Passhöhe in Richtung der untergehenden Sonne: zweifelsohne das Landschafts-Highlight der Reise.

Als Frühaufsteher spielte ich morgens den Barista während Erik und Bernd noch ihre Zelte hastig zusammenbauten. Die Solarzelle, richtig aufgestellt, hat wahnsinnig gut funktioniert. Unglaublich, dass man nur eine Stunde später “kurz-kurz” gefahren ist!
Die Frühstücksabfaht am Tag 4: unbezahlbar!

Nach der Aufstockung der Vorräte in Kearny zeigte sich der AZT von der flacheren, sehr spaßigen aber leider auch sehr stacheligen Seite. An sich sehen die Kakteen sehr harmlos und sehr interessant aus…aber wehe man streift nur hauchdünn an einem vorbei. Die Stacheln bohren sich tief unter die Haut und die Widerhaken sorgen für Schmerzen und eine längere Leatherman-OP 😉 Die Linienwahl muß also sitzen!

Millimeterarbeit zwischen den penetranten Kakteen: diese besonderen Slalomstangen erziehen doch sehr nachdrücklich zu einer sauberen Linienwahl!
….bei noch so guter Fahrtechnik war es letzten Endes eine Frage des Glücks! Denn viele “Minikakteen”, so genannte „Jumpings“, lagen auf dem Trail und warteten nur darauf, sich am Vorderreifen zu verbeißen um kurz darauf, den Zentrifugalkräften sei dank, in die Luft geschleudert zu werden.

…wenn man Glück hatte, landeten die Jumpings im Gepäck…

…hatte man ein wenig Pech, auf der Schulter oder am Handgelenk…
…hier die Deluxe Pech-Variante: stachelbedingte Sitzbeschwerden sorgen für Unmut und lassen sich nur mühsam mit einer Zange beheben 😉

So sahen unsere Unterschenkel nach einem Tag Wildnis aus 🙂

Trotz aller Schmerzen konnten wir uns ein paar albernde Kakteen-Provokationen nicht verkneifen 😛

Und täglich um 7 a.m. grüßt das Murmeltier: guten morgen AZT, guten morgen Kälte, guten morgen Sche*** Kakteen 🙂

Mysteriöse Boulder auf unserer letzten Trailetappe!

“Ende im Gelände”: nach 7 Tagen in der Wildnis, 90% Trailanteil (davon 100% auf den letzten 5) freuen sich unsere Handgelenke über etwas Ruhe, unsere Rücken sehnen sich nach einem echten Bett, unsere Körper nach einer Dusche und unsere Seelen nach einem “Finisher-Bier”. Wir kamen bis Oracle, nur etwa halb so weit wie erhofft. Machen wir es nochmal….?

…DEFINITIV!

Und was ist das Wichtigste nach einem kräfteraubenden Aktivurlaub? Genau, die Regeneration.

Deshalb habe ich direkt im Anschluss mit 3 verdammt coolen Fotografen die 20. Ausgabe des größten 24-Stunden Mountainbike Rennens Amerikas fotografiert.

Das berühmte “24 hours of Old Pueblo” (link) wird mitten in der Wüste unweit Tucson organisiert. Dort finden sich über 1500 Biker zusammen und feiern ein Wochenende lang ihre Lieblingssportart auf einem recht flachen und spektakulären 20km Rundkurs mit ….ratet mal…100% Singletrail Anteil!

Selten habe ich als Fotograf die Teilnehmer so sehr beneidet!

Unsere Bestof sagt mehr als 1000 Worte:

https://www.sportograf.com/bestof/5029

Ride on!

TIPPS UND TRICKS für den Arizona Trail:

  • 1 GPS pro Bike ein Muss, denn sich „am Kaktus“ zu verabreden, wenn man sich verliert, könnte eher in die Hose gehen! Wir empfehlen ein Wahoo Element/Bolt, Arizona ist vorinstalliert, die Lebensdauer der Akkus sehr lang.
  • Geruchsdichte Proviantbeutel, die abseits des Zeltcamps untergebracht werden, um eventuell vorbei streunende Schwarzbären oder Pumas nicht auf dumme Gedanken zu bringen 🙂
  • Guthook-App, um die Wasserstellenschnitzeljagd auch ohne Wünschelroute überleben zu können! Sie lässt sich offline bedienen und synchronisiert – sobald man online ist – alle Erfahrungen anderer Abenteurer, vor allem in Punkto Wasserstand an den Water Points!
  • Für den Notfall: ein Satellitentelefon oder ein PLB (personal locator beacon) oder ein „Garmin inReach“, um via Satellit SMS schreiben zu können (verschickt auch Position im Notfall)
  • Reifen mit Flankenschutz (Snakeskin bei Schwalbe oder EXO bei Maxxis) sind ein Muss! 200ml Tubeless-Milch pro Laufrad wegen unzähliger Kakteen
  • Proviantbeutel, Kocher-Kartuschen, Leckeres Fertigessen und viel mehr bekommt man in Phoenix unweit des Flughafens bei REI (www.rei.com). Dazu noch eine perfekte Beratung!
  • Beste Reisezeit: laut Internet Oktober+November und März+April. Wir haben uns für den Februar entschieden weil wir 20 statt 28 Grad tagsüber bevorzugen und weil die Klapperschlangen noch im Winterschlaf sind. Ab März sonnen sie sich gern auf dem Trail 😉
  • Keine Wasserstelle auslassen, denn man weiss nie ob die nächste Wasser hat. Immer alles auffüllen/filtern. Für „Engpässe“ Wasserbeutel mit einpacken (gibt es bei REI), die Leer fast nichts wiegen. Immer mit einer Reserve Gaskartusche und mehr als einem Feuerzeug reisen.
  • Solar-Panel nicht unter 14-15W, damit man bei bewölktem Wetter alles geladen bekommt!

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