Ein sonniger Sonntagmorgen im Juni, auf der sechsspurigen A3: Rennräder in allen Variationen werden in Richtung Köln transportiert. Carbon-Boliden, Alu-Renner und Stahl-Schätzchen sind auf Heckgepäckträgern befestigt, auf Autodächer geschnallt oder in Kofferräumen verstaut. In gefühlt jedem dritten Auto identifiziere ich einen Radsportler, der das gleiche Ziel hat, wie ich: die Startlinie von Rund um Köln, einem der ältesten Klassiker im deutschen Radsportkalender. Und spätestens hier, noch auf der Autobahn steigen Vorfreude und Nervosität. Seit 2013 bin ich kein Rennen mehr gefahren, habe seit Jahresbeginn nicht mehr als 1.700 Kilometer abgespult. Vor dem Besenwagen habe ich zwar keine Angst, wohl aber Respekt vor der anstehenden Aufgabe.
Zwei Stunden später stehe ich in meinem Startblock, als einer von über 3.000 Hobbysportlern, die an diesem Sonntag entweder die lange Renndistanz über 124 Kilometer oder die kürzere Strecke mit 68 Kilometern unter die Reifen nehmen. Rund um Köln zieht nicht nur deutsche Radsportler an. Holländische, flämische und französische Stimmen mischen sich in das laute Palaver in den Startblöcken. Man diskutiert über die Strecke, freut sich über das gute Wetter, tauscht Insider-Informationen aus.
Pünktlich um 9.30 Uhr erfolgt der Startschuss für die Langdistanz, und es geht zügig los. Auf den ersten Kilometern entlang des Rheins, über die Mülheimer Brücke und in Richtung Odenthal wird richtig Radrennen gefahren, 40iger Schnitt. Mein Puls schnellt in die Höhe, Laktat schießt in die Beine. Auf dem flachen Stück bis zum ersten Anstieg beiße ich auf die Zähne, hoch nach Scheuren muss ich dann mein eigenes Tempo fahren. Ich kann kaum glauben, in welchen Massen die anderen Starter an mir vorbeiziehen. Entweder übertreiben die es am Anfang gnadenlos oder sie haben erheblich mehr Bums in den Beinen. Die Strecke ist gut gesichert, an vielen Verkehrsinseln sind Helfer postiert. Trotzdem geistern zumindest zwei Mal nicht zum Rennen gehörige PKWs über die Strecke – glücklicherweise ohne Unheil anzurichten. Die Stürze, die ich sehe, sind auf Fahrfehler zurückzuführen. Professionelle Hilfe ist immer schnell vor Ort.
Dankbar nehme ich an diesem Tag die Anfeuerungen der Zuschauer entgegen. Immer wieder stehen die Menschen am Straßenrand, klatschen und ermutigen uns Fahrer, alles aus uns heraus zu holen. Besondere Highlights sind die Anstiege, wo immer wieder gute Stimmung herrscht. Hier kommen diverse Trommeln und Tröten zum Einsatz, und ganze Kinderhorden strecken die Hände aus, um mit den Fahrern abzuklatschen. Zugegebenermaßen: In Alpe d´Huez spielen sich andere Szenen ab. Aber die Anfeuerungen tun gut, und meine Gesichtsgrimassen sind ernsthafte Versuche, meine Dankbarkeit kund zu tun.
Spätestens bei der ersten Passage über das ruppige Kopfsteinpflaster von Bensberg habe ich „meine“ Gruppe gefunden, die ein angenehmes Tempo anschlägt. An den Anstiegen fliegt sie zwar immer wieder auseinander, findet danach aber rasch wieder zusammen und kooperiert harmonisch. Im Anstieg nach Hohkeppel muntert ein Betreuer vom Merkur Cycling Team die im Wiegetritt kämpfenden Fahrer auf: „Nur noch 200 Meter bis zur Bergwertung!“ Als etwa 400 Meter später das Schild „Bergwertung 500 Meter“ auftaucht, diskutiert die Gruppe kurz, ob man noch einmal zu dem Mann umkehren soll.
Kurz bevor es zum zweiten Mal den Anstieg nach Dombach hinauf geht, bietet mir mein linker Oberschenkel einen Krampf an, belässt es aber erfreulicherweise bei dem einmaligen Angebot. Schlimmer als die Beine schmerzt der untere Rücken, und getreu dem Motto „Wer nicht hören will, muss fühlen“ erkenne ich (mal wieder), wie sinnvoll es wäre, regelmäßige Kräftigungsübungen in das Training einzubinden. Dann ist der Kopfsteinpflasteranstieg nach Bensberg zum zweiten Mal bezwungen, und es geht zurück zum Ziel nach Köln. Ein tolles Gefühl, auf leicht abfallender Strecke und gesperrten Straßen in einem großen Feld in ordentlichem Renntempo durch die Stadt zu heizen!
Ein touristisches Highlight ist – neben den kleinen Sträßchen im Oberbergischen – die Fahrt über die Severinsbrücke mit Panoramablick auf den blauen Rhein und dem Kölner Dom. Im Zielsprint verzichten in der mittlerweile zirka 100 Mann starken Gruppe erfreulicherweise alle auf „gefährliche Fahrmanöver“, wie es der Veranstalter mahnend in seinen Teilnehmerunterlagen erbeten hat.
Meine Gruppe ist satte 45 Minuten nach dem Sieger im Ziel, aber das interessiert hier niemanden. Für Unmut sorgen beim ein oder anderen Teilnehmer eher die langen Warteschlangen, die sich an manchen Stellen bei der Rückgabe der Zeitmess-Transponder bilden. Doch wirklich aufregen mag sich keiner, und das Radsportfest am Rheinauhafen bildet mit voll besetzten Bierbänken, Live-Musik und schließlich dem Zieleinlauf des Profirennens einen schönen Schlusspunkt des Tages.
Bei der Heimfahrt ist die Autobahn deutlich voller als frühmorgens. Aber auch jetzt entdecke ich andere Teilnehmer, die ihre Rennräder wieder aufgeschnallt oder eingepackt haben und nach Hause fahren – den Kopf voller Bilder von einem sonnigen Renntag in Köln.